DAS SCHARNIER
Ein Berliner Salon | staatsbank berlin 2003
Von und mit Rahel Ohm und Mathias Max Herrmann
Text und Mitarbeit Regie: Stephan Behrmann
Raum und Kostüme: Olf Kreisel
Regieassistenz: Philipp Kleinmichel
Assistenz Raum: Lia Goschke
Licht: Rainer Grönhagen
Tontechnik: Daniel Dorsch
Produktion: Klaus Dörr
Wissenschaftliche Beratung: Katja Augustin
Premiere im September 2003
im Rahmen von „Das Ende der Staatsbank“
Wir danken dem Archiv für Kunst und Geschichte/AKG-Images für die außerordentlich freundliche Unterstützung. Ferner danken wir Veronike Hinsberg sowie Susanne Vincenz.

Das Akkreditiv- und Reisebüro der Dresdener Bank in Berlin
In dem zwischen 1887 und 1889 errichteten Bankgebäude wurde ein repräsentativer salonartiger Schalterraum eingerichtet, in dem sich die Großkunden der Dresdener Bank Reiseakkreditive ausstellen bzw. gutschreiben ließen. Reiseakkreditive dienten hauptsächlich als sicheres Zahlungsmittel bei der Abwicklung von Auslandsgeschäften. In dem angrenzenden Schalterraum konnten ferner Ein- und Auszahlungen vorgenommen werden. Etwa zehn Jahre nach seiner Einrichtung wurde das Akkreditiv- und Reisebüro auch als Veranstaltungsort für intime Salonabende und musikalische Darbietungen genutzt, die der Großbankier Eugen Gutmann initiierte. Dieser Zeit verdankt der Raum auch seinen Beinamen „Das Scharnier“, der auf seine zentrale Lage im Gebäudekomplex verweist. Diese Veranstaltungen sind kaum dokumentiert. Berichtet wird jedoch von dem enormen Aufwand, der erforderlich war, den Raum, der tagsüber weiterhin als Schalterraum fungierte, für Gutmanns Abende herzurichten und anschließend wieder für das Tagesgeschäft zurückzubauen. Überliefert ist auch der Bericht von einem Auftritt der legendären Sopranistin Barbara Kemp, die von Gutmann gebeten worden war, im „Scharnier“ einige Ausschnitte ihrer legendären Senta („Der Fliegende Holländer“) vorzutragen. Die Nutzung dieses Raumes nach 1945 gestaltete sich unspektakulär, zunächst wurden Schulungsveranstaltungen und Sitzungen abgehalten, dann wurde „das Scharnier“ vornehmlich als Abstellraum genutzt - eine Funktion, die dem repräsentativen Charakter kaum entsprochen haben dürfte, die aber dazu führte, dass der Raum in seiner ursprünglichen Gestalt, mit seinen kostbaren Wandeinbauten, und den wertvollen Holzvertäfelungen weitestgehend erhalten blieb.
Stephan Behrmann

Alfred Schulze: Die Abrechnung
"- Heute wird er abgetan! - Erinnern Sie sich dieses Ihres Ausspruches, Herr Kommerzienrat, den sie (...) vor Beginn der Verhandlung im Wartezimmer der 7. Strafkammer zu Ihrer Frau Gemahlin und Ihrem Gefolge taten (...)? Oder soll ich ihnen, falls Ihr Gedächtnis Sie im Stiche läßt, einen einwandfreien Zeugen dafür beibringen, daß Sie diese Worte wirklich sprachen? - Und Sie hatten recht, Herr Kommerzienrat - er wurde abgetan. Aber Sie vergessen eines - auf das „Heute“ folgt ein „Morgen“, und ich sehe diesem „Morgen“ in vollster Gewissensruhe und vollster Hoffnung entgegen. Sie auch - Herr Kommerzeinrat? Unsere Abrechnung ist noch nicht abgeschlossen. Einst war ich Ihr Schuldner - heute nicht. Wenn ich einst in jugendlichem Leichtsinn gegen Sie fehlte, so habe ich dafür gebüßt - länger und härter, als man es füglich von einem Menschen verlangen kann. Sieben Jahre Exil! - Dann kehrte ich ins Vaterland zurück und suchte mir eine neue Existenz zu gründen - der 32jährige mußte dort beginnen, wo der 20jährige stehen geblieben war. Aber überall traten sie mir hindernd in den Weg. Herr Kommerzienrat - überall fand ich (...) verschlossene Türen. Sie wollten mich vernichten, erst wirtschaftlich und nun auch gesellschaftlich. - Auf Ihrer und Ihrer Frau Gemahlin Aussage hin wurde ich zu ehrloser Strafe verurteilt und mußte wie ein Verbrecher bei Nacht und Nebel flüchten.
Jetzt aber - halt - Herr Kommerzienrat! Alles können Sie mir nehmen - meinen ehrlichen Namen werden Sie mir lassen müssen. Was er einem Millionär gilt, weiß ich nicht - mir gilt er alles, und solange ich noch ein Glied rühren so lange ich noch atmen kann, werde ich für ihn kämpfen.
Und ich weiß - Herr Kommerzienrat - ich werde siegen."
(Alfred Schulze: Für Ehre und Recht, Mein Prozeß gegen den Kommerzienrat Eugen Gutmann und meine Verurteilung, Zürich 1903)
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Szenenfoto (Ausschnitt) aus einer Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ in Duisburg. Das bislang weitgehend unbekannte Original-Szenenfoto von 1914 diente dem Bühnenbildner später als Bildvorlage für eine Fotomontage, bei der nachträglich Personen der Zeitgeschichte in das Bildtableau einmontiert wurden (s.u.). Während das Original weitgehend unbeachtet in den Archiven lagerte, erlangte die erwähnte Fotomontage große Beachtung und wurde zum festen Bestandteil in der Ikonographie des politischen Bildes.

Alfred Schulze – Entwürfe zur Bergmutter
Ich arbeite gerade an einer neuen Novelle. Bergmutter soll der Titel sein. Bergmutter entweder oder Die Spröde. Ein Mann fährt mit dem Zug ins Mittelgebirge. Er steigt an einem Spätsommertag aus dem Zug und steht auf dem Bahnhof von Klainstadt. Aber Klainstadt mit a geschrieben, verstehen Sie! Es ist der letzte Ort vor dem großen Gebirgsmassiv, in das er sich am nächstenTag begeben will, um den Spuren seiner Mutter zu folgen, die dort bei einem Unfall auf einer Bergwanderung umgekommen ist. Aber es kommt natürlich anders! Er erkundigt sich in der Bahnhofsgaststätte nach einer billigen Bleibe und quartiert sich im einzigen Hotel am Ort für eine Woche ein. Noch am ersten Abend macht er Bekanntschaft mit einer jungen Frau, Tochter des Wirtes, die sich unsterblich in ihn verliebt und ihn drängt, mit ihr in die Stadt zu gehen. Ohne auch nur ein einziges Mal in den Bergen gewesen zu sein, verlässt der Mann mit dem Mädchen kurz darauf den Ort. Und jetzt habe ich zwei Varianten, wo ich noch nicht weiß, welche die bessere ist: Im Zug stellt sich beim Gespräch heraus, dass die beiden verwandt sind, und zwar in erster Linie, denn sie ist nichts anderes als seine Halbschwester. Seine Mutter, als sie sich vor dem tötlichen Unglück in Klainstadt aufhielt, hatte eine kurze aber heftige Begegnung mit dem Wirt, dem Vater der jungen Frau. Sie verzweifelt so über diese Erkenntnis, dass sie sich aus dem Fenster des Zuges wirft. Der Mann fährt darauf zurück nach Klainstadt, folgt erfolglos den Spuren seiner Mutter, endet im Wahnsinn und verfasst die nächsten zwanzig Jahre Schneegedichte, die alle mit dem Wort „weiß“ enden. Die zweite Variante geht in etwa so: Sie zieht zu ihm in seine Stadtwohnung. Nach einigen Wochen leidenschaftlicher Liebe geschieht folgendes: jedesmal wenn sie sich lieben, erscheint dem Mann seine Mutter, die ihn mit bitteren Vorwürfen an sein eigentliches Vorhaben erinnert, sie aus den Eishöhlen des Berges zu befreien. Sie erscheint ihm als fahles, weißhaariges, hageres Wesen, das ihn bis ins Mark erschüttert. Schließlich fordert sie von ihm, die junge Frau, die ihn an seinem Plan gehindert hat, aus dem Weg zu räumen. Eine qualvolle Zeit beginnt....
(„Die Bergmutter - Entwürfe“ von Alfred Schulze, Heidelberg 1986, S. 492 f.)
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